Volles Haus am vergangenen Donnerstag beim Theater im Rathaus! Anja Kleinhans ( Theader Freinsheim) spielt, begleitet vom Gitarristen Alex Lützke , das Stück „ Gretchen 89 ff“ von Lutz Hübner. Sie nimmt das Publikum mit auf die Probebühne und präsentiert in ihrer eindrucksvollen Spielkunst die verschiedensten Schauspielerinnen- und Regiesseurtypen, alles natürlich überspitzt.
Im Stück geht es um die berühmte Kästchenszene aus Goethes Faust I, nachzulesen bei Reclam, Seite 89ff. Das unschuldige Gretchen kommt sehr aufgewühlt von der Begegnung mit Faust nach Hause und findet das Schmuckkästchen mit Inhalt. „ Es wird mir so, ich weiß nicht wie….Mir läuft ein Schauer übern ganzen Leib…“
Die Schauspielerin lässt zunächst einige Zuschauer die sechs bewussten Zeilen Probe sprechen, macht Verbesserungsvorschläge zu Ausdruck und Betonung. Ein Herr aus der ersten Reihe ist hierbei der Beste. Auch die nachfolgenden Texte muss das Publikum proben, wie im Theater.
Dann tritt Kleinhans als Schauspiel -Anfängerin auf, die voller Elan ist, viele Vorschläge zum geforderten Text macht, zum Teil völlig überdreht ist, mit dem fiktiven Regisseur diskutiert. Dieser bringt sie mit seinen Einwürfen wieder auf den Boden zurück.
Danach kommt die „ Diva“: weiter, lila Mantel, riesige Sonnenbrille, vor Überheblichkeit strotzend, ein Typ, der immer empört ist, sich als Opfer eines Komplotts fühlt, nur Ansprüche an den Regisseur stellt, ihn als CVJM- Laienspieler betitelt. Der Gitarrist Lützke mimt diesmal den kleinlauten Regisseur.
Die minimalistischen Requisiten – kleiner Tisch mit dem Drehbuch und der einfachen Holzschachtel( vom Freinsheimer Kaffeeröster!), nur ein Stuhl- lenken nicht vom großartigen Spiel der Künstlerin ab.
Bei den Regisseuren kommt als Erster derTyp „Schmerzensmann“ dran. Er raucht, hustet, will mit dem Text Abgründe, Schmerzen, Verluste, Gier auf Schmuck herausholen.Die Gitarre „ jault“ dazu passend.
Das „Tournee- Pferd“ ist der nächste Typ: fett, laut, ein Möchte-gern- Charmeur , der den Schauspielerinnen nachstellt, vom Drehbuch kaum Ahnung hat, Gretchen als aufreizende, berechnende Person sehen will, „ Am Golde hängt doch alles…“
Der „Streicher“ nimmt sich den Text vor, spielt auf Zeit,“ Gehen Sie noch einen Kaffee trinken! ,“ rät er der Schauspielerin ständig. Er streicht diese und jene Zeile, wägt hin und her. Zum Schluss bleibt nur die allerletzte Zeile stehen :„Ach, wir Armen!“
Dann tritt der „Freudianer“ auf. Er „skelettiert den Text, legt den Blutstrom frei,“ entlarvt den Schauspieler, merzt alle Anstandsregeln aus, reduziert alles nur auf Sex, Wut, Phallus, Goethe eigentlich“ versaut“. Der Gitarrist spielt hierzu ein Stück von „Rammstein“ und lässt seine Rastazöpfe beim Headbanging fliegen.
Zum Schluss kommt noch der Hospitant. Er hört den Schauspielern zu- sie ihm nicht-, er himmelt sie an, ist schüchtern, hampelt herum und weist auf seine eigene Theatererfahrung bei einer Schulaufführung hin.
Theater ist, laut Kleinhans, das Zusammenspiel aller, vom Regisseur bis zum einfachsten Mitarbeiter, kein Monolog, sondern der Dialog mit dem Publikum. Das war heute Abend zu spüren.
Herzlicher und langer Applaus für die Schauspielerin und für den Gitarristen, der zwischen den Szenen klassische spanische, brasilianische Gitarrenmusik und auch Eigenkompositionen spielte.
Im Anschluss konnte sich das Publikum mit den Akteuren oder auch untereinander in geselliger Runde unterhalten.
(Text: Ch. Saalfeld, Fotos: A.-M. Kabs)